Die Malerei
Paul Kothers
„Jetzt müssen wir uns aber mit einem kräftigen Ruck die
Augen neu einstellen, um sie für die so ganz anders geartete Malerei Paul
Kothers aufnahmefähig zu machen."
Mit diesem signifikanten Satz leitete Max Osborn seine
Besprechung der ersten größeren Ausstellung mit Gemälden des Künstlers im
Leipziger Kunstverein 1912 ein. Al aufmerksamer Beobachter der künstlerischen
Entwicklungen am Beginn des 20. Jahrhunderts und als einer der führenden
Kunstkritiker der Zeit attestierte er dem 34-jährigen Maler damit bereits zu
diesem frühen Zeitpunkt eine besondere Stellung unter den Expressionisten
einzunehmen. Denn im Vergleich zu den Kollegen der „Brücke" ist Kother im
eigentlichen Sinne nicht als konsequenter Neuerer zu charakterisieren,
zumindest nicht dann, wenn man an sein Lebenswerk hinsichtlich der Malweise und
des Stils vergleichbare Kriterien anlegen wollte, wie an das solcher Kollegen
wie Max Pechstein, Ernst Ludwig Kirchner oder Erich Heckel.
Kother war kein Expressionist, auch wenn er zeitweilig
dem engsten Umfeld des Expressionismus angehörte. Zwar finden einige
Entwicklungen in seiner Bildfindung und im Stil parallel und simultan zu denen
der Brücke-Künstler statt. In der Frühzeit lässt das nicht nur auf den
nachweislich so engen Kontakt zu seinem Schwager Otto Müller, sondern ebenso
auch zu Kirchner und Pechstein hin schliessen. Genauso evident wird aber, dass
Kothers Werk trotz seiner weitgehenden Unbekanntheit einen durchaus eigenen
Stellenwert in der deutschen Malerei der Jahre zwischen 1900 und 1935 einnimmt
und die Nähe zu ganz anderen Künstlern offenbart. Seine individuelle Arbeit
liegt häufig abseits der populären Wege moderner Kunst am Beginn des 20.
Jahrhunderts. Der Naturalismus orientierte sich noch lange Zeit deutlicher an
den naturalistischen Traditionen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der
Naturalismus blieb auch während der Weimarer Republik und zu Beginn der 30er
Jahre eine wesentliche Grundlage für die Kunst Paul Kothers.
Der erhaltene Nachlass weist eine beachtliche Zahl von
frühen Werken auf, die deutlich den künstlerischen Zielen und menschlichen
Idealen des Dresdner Brücke-Kreises verpflichtet sind. Zum einen hat Paul
Kother an den Entwicklungen der jungen Kunst in Dresden engstens partizipiert,
zum anderen hat er sie aber ebenso mit seiner eigenen Position beeinflusst und
in mancher Hinsicht vertieft. In den expressionistischen Werken der Frühzeit
bedient auch Kother sich der emotional aufgeladenen , ekstatischen und zum Teil
bewusst aggressiven Malweise seines engsten künstlerischen Umfelds. Er nimmt
sich bekannte Motive und Artikulationsformen seiner Kollegen vor, sucht ein
ähnlich pathetisches Ausdrucksvermögen wie die jungen enfants terribles, nicht
aber ohne seinen deutlich individuellen Akzent zu setzten, der weitaus
gemäßigter ist als beispielsweise der eines Kirchner oder Heckel. Denn parallel
beschreitet Kother schon früh andere Wege und sucht je nach Thema spezifischere
Ausdrucksformen, die ihn einerseits aber schon um 1916 charakteristische Merkmale
der Neuen Sachlichkeit erkennen und deren zentrale Themen vorweg nehmen lassen.
Kothers Malerei bleibt Zeit
seines Lebens gegenständlich, d.h. Motiv und Bildgegenstand verpflichtet.
Soweit es sich heute nachvollziehen lässt, unternimmt er keinen einzigen
Vorstoß in die Abstraktion. Obwohl er nachweislich gemeinsam mit Kollegen wie
Max Beckmann, Lyonel Feininger, Oskar Kokoschka und Conrad Felixmüller ausstellte, hat er
ferner weder das kubistische Experiment gesucht noch jemals den Bildgegenstand
in einer prismatischen Verzerrung analytisch aufzulösen versucht. Es finden
sich auch während der frühen zwanziger Jahre keine Arbeiten in der typischen
kubo-expressiven oder konstruktivistischen Manier, wie sie Kother insbesondere
bis zum Zeitpunkt seines Umzugs nach Weimar im engsten Berliner Umkreis
kennengelernt haben wird. Im formalen Aufbau seiner Bilder, gleich ob in
Portraits, Stilleben oder Landschaften bleibt stets die strenge Umrisslinie
vorherrschend. Sie umschreibt klar den Bildgegendstand und definiert die Figur.
Auf dieser sicheren formalen Basis innerhalb einer konsequent gegenständlichen
Bildsprache entwickelt Kother in den fünf Jahrzehnten zwischen 1914 bis zu
seinem Tod 1963 den für ihn charakteristischen Blick auf das Leben und seine
Phänomene.
Die einzige Möglichkeit zum künstlerischen Experiment
bietet sich im Umgang mit der Farbe. Auf die Wahl seiner Farben verwendet
Kother bereits seit den frühen Münchner Erfahrungen bei aller weitgefächerten
Verwendung die größte Sorgfalt und Disziplin. Manchmal entstehen parallel
Werke, die zum einen die Drastik des expressionistischen Kolorits suchen und
bewusst harte Kontraste setzen. Zum anderen erarbeitet sich der Maler aber
ebenso feinste Nuancierungen und Valeurs, so als solle die Bedeutung des
Impressionismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch einmal neu definiert
werden. Und man kann fast behaupten, das sich Kother in der Behandlung des
Kolorits bisweilen sogar noch deutlicher von den tradierten Bahnen der Malerei
entfernte und experimentierfreudiger vorging als seine später wesentlich
erfolgreicheren expressionistischen Kollegen. Die zeitgenössische Kritik,
insbesondere der, während der nationalsozialistischen Jahre in die USA
emigrierte, jüdische Kritiker und Publizist Max Osborn, der für die Rezeption
der deutschen Kunst im frühen 20. Jahrhundert so wertvolle Informationen
lieferte, legte auf Kothers Farbe größten Wert und thematisierte sie mehrfach
in seinen Kritiken und Rezensionen.
Textbeitrag von Dr. Ralf F. Hartmann